Der Varroa ihren Schrecken nehmen?

Gedanken zur Überlebensstrategie wilder Schwärme

Von Dr. Werner Mühlen [Deutsches Bienenjournal, Ausgabe Mai 2004, Seite 20]

Unser Leser Friedel Rennebach aus Niedergebra machte eine erstaunliche Beobachtung: "Ich wurde vom Anlieger unserer Kirche gebeten, einen Schwarm einzufangen. Dieser hatte sich an einer Schuppenwand festgesetzt und dort über einen Quadratmeter verteilt. Alle Anwohner bestätigten mir, daß die Bienen, aus denen der Schwarm stammte, seit mindestens fünf Jahren in der Kirchenmauer leben. Nach zwei Behandlungen mit Ameisensäure konnte ich bei dem Schwarm keinen Milbenfall feststellen. Wie ist es möglich, daß Bienen ohne Varroabehandlung über fünf Jahre in einer Kirchenmauer überleben?"
Dr. Werner Mühlen nimmt hierzu Stellung.


Die Beobachtung, daß ein Bienenvolk über fünf Jahre an einem Standort überlebt und die Bienen nicht oder nur wenig mit Varroamilben befallen sind, sollte uns nachdenklich stimmen. Ist es wirklich unmöglich, daß Bienen so lange ohne Behandlung überleben? Oder haben wir das Volk gefunden, das varroaresistent ist?

Resistente Völker in blütenreicher Umwelt

Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht leicht. Wir wissen nur, daß seit fünf Jahren aus dieser Kirchenmauer Bienen fliegen. Es muß nicht zwingend ein und dasselbe Volk sein. Es ist durchaus denkbar, daß es mehrere Schwärme sind, die nacheinander in diesen Ort eingezogen sind. Wenn wir annehmen, daß ein einziges Volk so lange der Varroa trotzt, stellt sich die Frage, wie das geschehen kann.
Vielleicht sind wir hier einem Phänomen auf die Spur gekommen, das uns zum Umdenken anregen sollte. Ist es wirklich das unausweichliche Schicksal eines Volkes, zugrunde zu gehen, wenn die Varroa eingedrungen ist? Geert Lijftogt, ein holländischer Imker der Stichting Fortmund Imkerij, versuchte Bienenvölker ohne Varroabehandlung über Jahre zu führen - und es ist ihm gelungen. Lijftogt betreibt eine Schwarmimkerei und legt großen Wert darauf, daß die Bienenvölker in einer blütenreichen Umwelt leben, also immer ausreichend Nahrung finden. Hier liegt wohl der Schlüssel.

Bienen schwärmen zur Selbstheilung des Volkes

Bienenschwärme sind eine geniale Erfindung der Evolution. Der Schwarm besteht aus vitalen Bienen, er lässt die erkrankte Brut, den alten Wabenbau und die verunreinigte Beute zurück und beginnt in einer sauberen Höhlung mit jungem Wabenbau und gesunder Brut neu. Findet der Schwarm in einer naturnahen und blütenreichen Umgebung ausreichend Nahrung, kann er gedeihen und hat einen guten Start. Bienenschwärmen stellen daher einen sehr wirkungsvollen Selbstheilungsprozeß dar, den auch Imker nutzen. So heilt der Imker Bienen durch das Kunstschwarmverfahren u.a. von Amerikanischer Faulbrut. Er entfernt Altwaben und damit auch Krankheitskeime und Rückstände aus dem Volk. Er reinigt Bienenbeuten, um die Hygiene am Stand zu gewährleisten. Nichts anderes geschieht, wenn Bienenvölker schwärmen.
Auch das Altvolk kann die Milbenzahl reduzieren. Zunächst führt die schwarmbedingte Pause zu einer deutlichen Verringerung der Milbenzahl. Was geschieht aber, wenn dieser natürliche Selbstheilungsprozeß nicht greift und die Milben sich explosionsartig in der Brut vermehren? Man kann sich Folgendes vorstellen: Je mehr Milben sich entwickeln, umso höher ist der Parasitierungsgrad der Brut. Jungbienen werden zunehmend geschwächt, ihre Lebenserwartung wird herabgesetzt. Das Volk wird kleiner und kleiner. Irgendwann stellt die Königin das Brutgeschäft ein. Jetzt spätestens löst der Imker dieses Volk auf. Er schwefelt es ab und sagt, seine Bienen seien gestorben. Dabei hat er garnicht abgewartet, ob sie wirklich sterben. Denn in diesem zusammenbrechenden Volk hat auch die Varroa keine Fortpflanzungschance mehr, sie hat ihren eigenen Lebensraum zerstört. Theoretisch ist es denkbar, daß sich dieses Volk bei ausreichender Nahrungsversorgung und guten klimatischen Bedingungen (u.a. Flugwetter, Jahreszeit) bis zum Winter wieder erholen kann. Die Königin beginnt dann, wenn Nektar und Pollen eingetragen werden können, neu zu brüten. Es gibt nur noch wenige Milben im Volk, die sich entwickelnde Brut ist gesund, die Jungbienen sind vital und leistungsfähig. Bevor die Varroamilben wieder überhand nehmen, ist das Volk erstarkt und möglicherweise überwinterungsfähig.

Varroabehandlung verschafft den Milben gedeckten Tisch

Nun würde man in einer Imkerei so keinen Honig ernten. Aber das ist auch nicht das Ziel der Natur: Sie will lediglich die Art erhalten, d.h. Fortpflanzung und Ausbreitung der Bienen gewährleisten. Sicher werden es nicht alle Völker schaffen. Aber ein gewisser Anteil wird überleben. Wilde Völker unterliegen anderen Bedingungen als die von uns Imkern betreuten.
Es gibt Beobachtungen, daß Varroamilben ihre Vermehrungskapazität drosseln, wenn ihre Zahl im Volk zu hoch wird, der Befallsgrad der Brutzellen also die eigene Vermehrung in Frage stellt. Wenn der Imker aber durch regelmäßige chemische Behandlung der Völker den wenigen überlebenden Milben immer wieder einen "gedeckten Tisch" - sprich unbefallene Brut- präsentiert, werden sich die Varroa mit vollem Potenzial vermehren.
Dies sind Überlegungen, die erklären könnten, wieso ein Volk in einer Kirchenmauer überleben kann.
"Alles reine Spekulation", mögen viele Imker sagen, und vielleicht haben sie Recht. Aber wäre es nicht spannend, diesen Hypothesen mit durchdachten Forschungsprojekten auf den Leib zu rücken, sie zu widerlegen oder zu beweisen? Man könnte der Varroa ihren Schrecken nehmen...

Dr. Werner Mühlen
LWK Nordrhein-Westfalen
Referat 41 - Bienenkunde
Nevinghoff 40
48147 Münster


Dieser Text ist im Deutschen Bienenjournal in der Ausgabe vom Mai 2004 erschienen. Dort auf der Seite 20 zu finden. Der Text wurde von mir abgetippt und Fehler sind möglich ;O)

An dieser Stelle möchte ich mich für die freundliche Unterstützung des Deutschen Bienenjournals und von Herrn Dr. Werner Mühlen bedanken, die diesen Abzug im Internet gestatteten.